Selbstreflexion
Sie wollen als Freiwilliger im Bereich des Spracherwerbs unterstützen? Großartig! Sie sollten die folgenden Punkte reflektieren, bevor Sie anfangen. Werden Sie sich Ihrer Motivation zur Freiwilligenarbeit bewusster – so werden Sie eher Stellen finden, die zu Ihnen passen und Enttäuschungen vermeiden. Um Unterstützung anzubieten, die auf Solidarität und Respekt basiert, kann es hilfreich sein, Folgendes zu überlegen.
“Ich leiste Freiwilligenarbeit, weil ich Flüchtlinge unterstützen will…”
Zuallererst: stellen Sie bei Ihrer Unterstützung Solidarität statt Hilfe in den Vordergrund. Solidarität bedeutet, sowohl die Fähigkeiten und Autonomie als auch die Würde der Flüchtlinge, mit denen Sie zusammenarbeiten, zu respektieren. Es bedeutet auch, die verschiedenen Formen der Unterdrückung und die Schwierigkeiten, mit denen sie konfrontiert sind, anzuerkennen. Solidarität bedeutet, gemeinsam mit Ihnen auf ihre Einladung hin zu handeln.
Indem Sie mit Lernenden arbeiten, können Sie etwas Wertvolles anbieten – Sie werden Menschen helfen, eine neue Sprache zu erlernen. Das kann einen wichtigen Unterschied im Leben dieser Flüchtlinge machen, aber die Lernenden können auch in anderen Bereichen Schwierigkeiten haben. Es ist verständlich, dass Sie helfen wollen – darum engagieren Sie sich ja freiwillig – aber auch wichtig, Ihre eigenen Grenzen zu kennen. Das gilt vor allem, wenn Sie außerhalb einer Organisation – d.h. mit weniger Verantwortlichkeiten und weniger Unterstützung – arbeiten. (Siehe auch Seite 7 “Tun Sie es nicht alleine”.) Sie werden nicht alle Probleme, die die Lernenden haben, lösen können. Für mehr Details zur Unterstützung der Lernenden auf möglichst sichere Art sehen Sie. (Siehe auch Leitfaden für Freiwillige “Sichere Räume”.)
“Ich habe freie Zeit”
Großartig, dass Sie sich als Freiwilliger engagieren wollen! Die Zeit dafür zu haben, ist ein Muss. Falls Sie nicht sicher sind, ob Sie auch langfristig die Möglichkeiten haben, den Spracherwerb zu unterstützen, suchen Sie nach Gelegenheiten, die mehrere einmalige oder kurzzeitige Verpflichtungen ermöglichen. Im Allgemeinen geht es beim Spracherwerb oftmals darum, Vertrauen zu den Lernenden aufzubauen, um eine gute Lernatmosphäre zu schaffen. (Siehe auch Leitfaden für Freiwillige Seite 20 “Sichere Räume”.) Wenn Sie nicht verlässlich sind und Verpflichtungen kurzfristig absagen müssen, könnten Sie mehr zur Belastung als zur Hilfe werden.
“Ich will mich als Lehrer verbessern”
Wenn Sie zum Lehrer/zur Lehrerin ausgebildet werden, gibt Ihnen Freiwilligenarbeit die Möglichkeit, einen/eine Kursleiter*in im Kursraum zu unterstützen und so Erfahrung zu sammeln. Kursleiter*innen könnten sich sogar möglicherweise bereit erklären, als Referenz für Sie genannt zu werden, um Ihnen bei der Arbeitssuche oder dem Abschließen Ihrer Ausbildung zu helfen.
Wir würden nicht empfehlen, als alleinige/r Kursleiter*in formalen Kursunterricht in Freiwilligenarbeit zu geben. Sprachvermittlung benötigt einiges an Wissen und Ausbildung. In Ländern, in denen es bezahlte Sprachvermittlung gibt, kann eine formale Sprachvermittlung durch Freiwillige diesen Sektor untergraben und verwendet werden, um finanzielle Kürzungen bei zuvor ausreichend finanzierten Kursen für Flüchtlingen zu rechtfertigen. Manchmal haben Flüchtlinge natürlich keinen anderen Zugang zu Sprachvermittlung, und dann kann dieses Angebot durch Freiwillige eine Lücke füllen.
"Ich will bei der Integration unterstützen…"
Wenn Menschen dabei unterstützt werden, die Sprache ihrer neuen Umgebung zu erwerben, hilft ihnen das sehr dabei, sich neue Möglichkeiten zu erschließen – sie werden es leichter haben, Beziehungen aufzubauen, sinnstiftende Arbeit zu finden und am öffentlichen Leben teilzunehmen falls sie das wollen. Integration ist kein einseitiger Prozess, und als Freiwillige/r haben Sie die Möglichkeit, Flüchtlinge und deren Leben kennenzulernen. Sich über Gewohnheiten, Werte und Traditionen zu unterhalten, ermöglicht gegenseitiges Verständnis. Bitte respektieren Sie unterschiedliche Lebensarten und Wertesysteme. Ihre Arbeit ist es, Menschen die von ihnen selbst gewählte Lebensweise zu ermöglichen, anstatt sie zu bewerten. (Siehe auch Leitfaden für Freiwillige Überlegungen zum Begriff “Integration" auf Seite 46 )
Sie sprechen mehrere Sprachen, und wollen Ihr Wissen über den Prozess des Spracherwerbs teilen…
Sprachlerner*innen können großartige Freiwillige sein! Sie haben sicher einen guten Einblick in den Lernprozess und können andere zum Lernen inspirieren. Allerdings muss man bedenken, dass es viele verschiedene Arten von Lernenden gibt (mehr dazu auf Seite 19), mit verschiedenen vorherigen Lernerfahrungen, Motivationen, und Bedürfnissen. Vielleicht sind Sie besonders dafür geeignet, Sprachen zu lernen. Was Ihnen genützt hat, muss nicht unbedingt auch für andere Lernende passen.
Ich will meine Zeit auf sinnvolle Art und Weise verbringen…
Das werden sie.
Ich bin interessiert an Menschen aus anderen Kulturen…
Interesse an den Menschen zu zeigen, mit denen Sie arbeiten, ist ein toller Ausgangspunkt für die Unterstützung des Spracherwerbs. Ihre Fähigkeit, zuzuhören, und Ihre Fragen werden den Lernenden helfen, ihre Sprachkompetenzen zu verbessern. Natürlich muss das im Rahmen bleiben – respektieren Sie die Privatsphäre der Lernenden, und spüren Sie nach, ob Ihre Fragen erwünscht sind. Wenn Lernende sich beim Reden über manche Dinge nicht wohlzufühlen scheinen, geben Sie auch Räume zum Reden über andere, weniger persönliche Themen. (Siehe auch Leitfaden für Freiwillige Seite 20 ”Sichere Räume”.)
„Eine Sprache zu beherrschen heißt auch, dass du dich für deine Rechte einsetzen und deinen Willen durchsetzen kannst. Nur wenn du selbst für dich sprechen kannst, ist es dir möglich deine eigene Perspektive deutlich zu machen.“
Sprachlerner, Österreich