Fähigkeiten und Kompetenzen

Bevor wir uns mit der Unterstützung des Spracherwerbs von einer praktischen Seite her beschäftigen, beschreiben wir hier einige allgemeine Einstellungen, die eine/n gute/n Freiwillige/n ausmachen. Jede/r kann ein/e Freiwillige/r sein, solange er/sie verlässlich, einfühlsam, freundlich und respektvoll ist.

 

Während unserer Recherchen haben wir mit Kursleiter*innen, Sprachlernenden und Freiwilligen über ‘best practices’ – Einstellungen und Handlungen, die Freiwillige zu einer echten Unterstützung machen – geredet. Sie können daran arbeiten, diese schon vor der Arbeit mit Sprachlernenden zu entwickeln. Sie können auch während Ihrer Zeit als Freiwillige/r über dieses Kapitel reflektieren.

Vieles davon basiert auf persönlichen Eigenschaften, die Sie vielleicht schon haben, und den Stärken, die Sie als einfühlsame Person und Experten/innen für die Sprache mitbringen. Ab Seite 15 geben wir Ihnen  Informationen dazu, wie der Spracherwerb bestmöglich unterstützt werden kann. Aber auch die Einstellungen gegenüber Flüchtlingen, Sprachlernenden und dem Lernprozess haben unmittelbare Einwirkungen darauf, wieviel echte Unterstützung Sie anbieten können. Daher sollten diese Einstellungen immer wieder neu reflektiert werden.

Das Toolkit des Europäischen Rats bietet einige interessante Ressourcen zur Reflexion an, um dieses Toolkit zu ergänzen:

https://www.coe.int/en/web/language-support-for-adult-refugees

 

Freundlichkeit und Einfühlungsvermögen

Eine neue Sprache zu lernen kann Stress verursachen. Lernende können sich ungeschützt fühlen, vor allem, wenn sie keine gemeinsame Sprache mit anderen haben und kein soziales Netz besteht. An einen anderen Ort zu ziehen verursacht – ungeachtet der Umstände – Stress und ist ein anerkannter Risikofaktor für psychische Probleme. Ein einfacher Umgang damit ist es, so nett und freundlich wie nur möglich zu sein, und einfühlsam zu sein, wenn Lernende Schwierigkeiten haben.

Stress kann eine Hürde für Spracherwerb sein, weil Lernende dadurch weniger bereit sind, sprachliche Risiken einzugehen und ihre Komfortzone zu verlassen. Eine Art, diesen Stress zu reduzieren, ist es, so freundlich wie möglich zu sein. Das sollte authentisch sein – niemand kann jede Minute des Tages lächeln – aber es hilft tatsächlich, freundlich, offen und zugänglich zu sein. Die Pausen und Schwierigkeiten beim Sprechen sind nicht so schlimm, wenn der/die Lernende sich bei Ihnen wohlfühlt.

 

Verlässlichkeit

Verlässlichkeit und Stabilität haben große Bedeutung, wenn man als Freiwillige/r Menschen hilft, eine Sprache zu lernen. Ein/e verlässliche/r Freiwillige/r zu sein, wird Lernenden und Kolleg/innen zeigen, dass man sie und ihr Lernen ernst nimmt. Es ist sehr gut, wenn Sie für längere Zeit als Freiwillige/r verfügbar sind (mehrere Monate oder zumindest die Zeitspanne, die zuvor vereinbart wurde). Beziehungen zum Spracherwerb brauchen oft Zeit, und die daraus entstehenden Vorteile wachsen langsam.

Für neu angekommene Flüchtlinge können regelmäßig stattfindende Treffen sehr wichtig sein, weil ihre Woche dadurch strukturiert wird. Wenn Sie ein Treffen nicht einhalten können, geben Sie Ihren Kolleg*innen und/oder den Lernenden früh genug Bescheid, damit diese Ihre Abwesenheit einplanen können. Das Wichtigste ist, mit den Menschen zu kommunizieren, mit denen Sie zusammenarbeiten oder die Sie beim Spracherwerb unterstützen.

 

Respekt

Menschen, die um Asyl ansuchen oder als Flüchtlinge anerkannt wurden, haben oft schwere und traumatisierende Erfahrungen hinter sich. Es ist wichtig für sie, sichere Räume zu haben, auf die sie sich verlassen können und wo sie respektiert werden. Hier ein paar wichtige Dinge, die man wissen sollte, unabhängig davon, in welchem Bereich man als Freiwillige/r arbeitet:

Die Menschen, mit denen Sie arbeiten werden, sind Erwachsene, die ihre eigene Lebenserfahrung, ihre Weisheit, ihr Wissen und ihre Fähigkeiten in die Lernumgebung mitbringen. Es kann hilfreich und positiv sein, die Begegnung mit ihnen als gegenseitige Lernerfahrung zu sehen. Sie haben wahrscheinlich Sprachkompetenzen (und viele andere Dinge) anzubieten, und die Lernenden haben ebenfalls Dinge, die sie Ihnen beibringen können. Wenn diese Einstellung gelebt wird, kann eine freundliche und inklusive Lernumgebung geschaffen werden, in der jede/r Wertschätzung erfährt.

Beim Arbeiten mit Menschen, die eine Sprache lernen, ist es gut, sich an die Devise ‘ein Anfänger in der Sprache ist kein Anfänger im Denken’ zu erinnern. Erwachsene sollten nicht aufgrund ihres Sprachniveaus als Kinder behandelt werden. So sollten z.B. alle Lernmaterialien altersgerecht sein. Ideen und Themen für Diskussionen können komplex sein, auch wenn die Sprache selbst vereinfacht werden muss. Es ist gut, die Fähigkeiten und Stärken des/der Lernenden anzuerkennen. Damit merkt diese/r, dass er/sie als ganzer Mensch – über die Rolle des Sprachanfängers/der Sprachanfängerin hinaus – geschätzt und wahrgenommen wird. Interessensgebiete des/der Lernenden zu besprechen ist sehr motivierend für diese – zeigen Sie deshalb auch Interesse dafür. Ein Gespräch fühlt sich ungezwungener an, wenn man ein interessantes Thema dafür hat.

Respekt heißt auch, den Lernenden/die Lernende in Diskussionen über ihr/sein Lernen und die damit zusammenhängenden Entscheidungen miteinzubeziehen. Lernende fühlen sich respektiert, wenn sie mitbestimmen können, was und wie sie lernen.

Es ist sehr wichtig, Werte und kulturelle Praktiken dieser Menschen zu respektieren, ohne von vornherein zu glauben diese alleine aufgrund ihrer Herkunft bereits zu kennen. Flüchtlinge sind keine homogene Gruppe – sie kommen aus verschiedenen Orten oder sozioökonomischen Verhältnissen, haben verschiedene Geschlechter, einen unterschiedlichen rechtlichen Status und eine Vielfalt an formellen und informellen Lernbiographien. Es ist gut, sie zu ihren kulturellen Praktiken zu befragen, und sie zu ermutigen, sich über Ihre zu erkundigen.

 

Selbsterkenntnis und kritische Reflexion

Um eine positive Beziehung mit Flüchtlingen aufzubauen, die eine Sprache lernen, ist Selbsterkenntnis hilfreich.

Es kann helfen, die Vorurteile und Privilegien anzuerkennen, die Sie zu Begegnungen mit den Lernenden mitbringen. Vielleicht haben Sie z.B. noch nie zuvor einen Flüchtling getroffen und haben bestimmte Vorurteile darüber, wie Flüchtlinge  sind. Eigene Privilegien und Voreingenommenheit anzuerkennen, kann davor bewahren, dass diese nicht Ihr freiwilliges Engagement dominiert! Kontinuierlich zu reflektieren und mehr über den soziopolitischen Kontext von Migration und Rassismus zu lernen, wird Ihnen helfen, die Beziehungen zu den Flüchtlingen im Rahmen Ihrer Freiwilligenarbeit zu verbessern. Am Ende dieses Toolkits finden Sie mehr Lektüre, um Sie in diesem Prozess zu unterstützen. Mehr Informationen zu Macht und Privilegien finden Sie in einem leicht lesbaren englischen Handbuch unter:

http://neweconomyorganisers.org/wp-content/uploads/2016/02/NEON-Power-and-Privilege-Guide.pdf

 

Download Gesamter Leitfaden für Freiwillige als PDF

"Wenn du hierhergekommen bist, um mir zu helfen, verschwendest du deine Zeit. Aber wenn du gekommen bist, weil deine Befreiung mit der meinen verbunden ist,dann lass uns zusammenarbeiten."

 

Lilla Watson, indigene australische Aktivistin

 

 

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